Während ich in meinem Sessel einschlief, ahnte ich nicht, was mein Wunsch an Hammthal und Sarkor in Gang gesetzt hatte.
Kurz nach Ende der Sitzung des Hohen Rats klopfte es an einer stattlichen Tür. Dunkles Holz mit saphirblauem Glasrelief in der Form des Wappens von Sarkorska. Etwas, dass wahrscheinlich "Tretet ein." lautete, kam nur dumpf und nahezu unverständlich durch die Tür in Reaktion auf das Klopfen.
Der Raum war in die Länge gezogen. Zwei lange Tischreihen standen sich gegenüber. Am Ende der Tischreihen bildete ein großer Sekretär den Kopf. Durch die tief stehende Sonne im Rücken und somit das Gesicht in Schatten gehüllt, richtete sich eine Figur von zahlreichen Papieren auf dem Sekretär auf. Das Licht blitzte hier und da durch Strähnen langen Haars hindurch.
"Hhmm?", forderte sie.
"Frau Präsidentin, ich bin hier, um Sie über das Ergebnis der Sitzung des Hohen Rats zu unterrichten." Er war bemüht laut und deutlich zu sprechen, obwohl er sich lieber unter einem der Tische verstecken wollte, als diese Nachricht zu überbringen.
"Ich habe das Parlament aufgrund des Schneesturms für heute ausgesetzt. Gebt mir die Kurzfassung und für morgen den Bericht", entgegnete sie.
"Sehr wohl. Korrektor Richard Thal wurde mit der Sicherstellung des vermuteten Seelendämons in den Grenzgebieten von Hardon beauftragt. Er soll ..."
"Was ist mit den Anschuldigungen ihm gegenüber?", unterbrach sie ihn harsch.
"Ähmm... nun..."
"Zweifelt ihr an der Zusammenarbeit des Parlamentsvorsitzes und des Hohen Rats?", fragte sie bissig.
"Nein, keineswegs", kam es wie aus der Pistole geschossen. Er verbeugte sich und verharrte nun in dieser Position, mit dem Blick zum Boden gerichtet. "Die Zusammenarbeit ist über jeden Zweifel erhaben. Die Sache ist die, dass ich der Sitzung verwiesen wurde. Nur der Auftrag wurde mir im Nachhinein in Gänze mitgeteilt."
Die Präsidentin lehnte sich zurück. Ihr etwa schulterlanges Haar rutschte über die Schultern zurück, den Rücken herab. Das Machtgefälle war erdrückend. Der Überbringer von Nachrichten war auf dem Papier eine vergleichsweise einfache Aufgabe. Doch der Protokollant zweifelte zunehmend an seiner Eignung.
"Ron, bitte vertraut mir an, was sich euch darbot?" Ihre Stimme klang auf einmal einfühlsam. Die Strenge, geformt von Verantwortung und unermesslichem Selbstbewusstsein, war für einen Moment gewichen.
"Nun, ich weiß nicht." Als Protokollant hatte er nicht nur das Protokoll zu führen und Nachrichten zu überbringen, sondern auch das Protokoll zu wahren. Aus dem Nähkästchen plaudern, gehörte da nicht dazu.
"Ron, bitte. Wir ziehen doch an einem Strang. Ich habe den Auftrag für deine Schwester erst vorhin bewilligt, weil ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann."
Ron schaute vom Boden auf. "Oh, vielen Dank. Vielen Dank!"
Mit seinem Widerstand gebrochen, beschrieb er ihr das Bild, das sich ihm dargeboten hatte. Von geistesabwesenden und zitternden Ratsmitgliedern und Korrektoren. Von Angstschweiß und Urin in der Luft. Von dem zerstörten Marmorboden, wo ich gestanden hatte. Und auch von dem schwerverletzten Teamführer des Corrigendum Magnus Leupold.
"Wer ist für diese Eskalation verantwortlich?", fragte sie schockiert.
"Es heißt ..." Der Protokollant zögerte, als wenn man jemand ihn überhören könnte. "Es heißt, der Seelendämon Sarkor war präsent. Dass er seine Autorität für Richard Thal eingesetzt hat, zum Schaden der Ratsmitglieder und des Corrigendum."
Der Schatten auf ihrem Gesicht verbarg Ron jedwede Emotion, die diese Worte vielleicht auslösten. Er hätte genauso gut mit einer der Marmorbüsten in den Hallen des ehemaligen Palastes reden können.
"Danke für eure Ehrlichkeit, Ron."
"Dann entschuldige ich mich."
Ein leichtes Nicken, erkennbar an den sich bewegenden Haaren, entließ ihn aus der Situation. Er trat aus dem Raum. Schloss die Tür hinter sich. Sein Rücken war in Schweiß gebadet.
Keine halbe Stunde später klopfte es an derselben Tür erneut. Keine Reaktion abwartend trat Mitglied des Hohen Rats Rodney Garrison ein. Er ging direkt zu einem brusthohen Schrank zur rechten Seite vom Schreibtisch der Präsidentin. Er schenkte sich ein Glas über Jahrzehnte in den Sturmspitzen gereiften Whiskeys ein. Ohne mit der Wimper zu zucken oder dem Getränk Raum zugeben, schüttete er es hinter. Er schenkte sich prompt ein zweites Glas ein.
"Für mich auch bitte."
Er holte ein weiteres Glas aus dem Schrank. Während seines zur Hälfte gefüllt war, schenkte er ihr nur ein Viertel ein.
"Danke."
Er trat ans Fenster. Sein Gesicht war angespannt. Die Muskeln traten an einigen Stellen hässlich durch seine Haut an Stirn und Kinn hervor. Die Präsidentin erhob sich ebenfalls und folgte ihm ans Fenster. Das Schneetreiben hüllte die Stadt in ein feines, weißes Kleid.
Nach einem weiteren Schluck ergriff er erstmals das Wort.
"Bastard." Sein Griff um das Glas intensivierte sich, sodass das Weiß seiner Knöchel hervortrat. "Wir müssen uns der Seelendämonen endlich entledigen. Hammthal und Sarkor müssen verschwinden. Es gibt keine andere Option. Unterwerfen steht ab jetzt nicht mehr zur Debatte. Sie haben uns gefoltert, um ihren Willen durchzusetzen. Gefoltert. Wir können uns unmöglich auf diese Halbgötter in Kristallform verlassen."
"Wenn du eine Pause brauchst, bin ich wohl am Zug."
"Nur zu. Ich hab die Schnauze voll. Ohne Sarkor liegt der Hohe Rat in meiner Hand."
"Und das Parlament in meiner."
Sein Griff lockerte sich. Auch seine Gesichtszüge begannen sich zu entspannen. Nach und nach nahm er wieder mehr menschliche Züge an.
"Was hast du jetzt vor?", fragte er.
"Oh, etwas worauf ich schon länger hinarbeite."
Er drehte sich zu ihr. Ein herausfordernder, aber kindlicher Blick nahm sie in Augenschein. Die linke Augenbraue leicht nach oben gezogen, verengten sich seine Augenlider und ein Schmunzeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab.
"Mit dem kommenden Budgetplan wird das Parlament das Himmelsinstitut wieder auf Forschung ausrichten", erklärte sie verklausuliert.
Sein Schmunzeln wurde breiter. "Da wird der Hohe Rat keine Einwände haben."
"Das freut mich. Das Korrektorat hat bereits ein Archiv. Doppelte Strukturen sind daher überflüssig."
"Das Wissen ist bei den Wächtern des Wissens bestens aufgehoben", kommentierte er gehässig.
"Ausgezeichnet. - Wegen Richard Thal …"
"Valentin Hamm", korrigierte er.
"Wie auch immer. Dem faulendem Dorn."
"Ja?", fragte er für jede Schandtat bereit.
"Kann das Corrigendum ihn im Moment überhaupt überwachen?"
Rodney nahm einen weiteren Schluck. Der Alkohol brannte in seiner Kehle. Warum dieser schrecklich brennende und für ihn nach abgestandenen Holz schmeckende Alkohol zum guten Ton gehörte, entzog sich ihm. Aber das war ein Preis, den er bereit war zu bezahlen, wenn er damit dazugehörte.
"Die sind im Arsch. Ohne Leupold kann von denen keiner Hammthal Paroli bieten", gab er seine ehrliche Meinung.
"Dann übernimmt wohl das Parlament den Schutz der Nation." Sie verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust, als wenn die entscheidenden Schachfiguren endlich an ihren Platz fallen.
"Uh, du bist schon so weit?"
"Sarkor ist aus dem Parlament ausgesperrt. Da sollte sich das Errata um den kleinen Hammthal wohl auch kümmern können. Nicht wahr?", fragte sie etwas lauter, als ihre bisherige Konversation.
"Sehr wohl, Frau Präsidentin", sagte eine Stimme aus dem Nirgendwo hinter ihnen. Rodney zuckte merklich zusammen. "Die Fehler des Korrektorats aufzuspüren, zu dokumentieren und richtigzustellen ist der Auftrag des Korrektivs und eine Ehre der Errata."
"Warn mich das nächste Mal bitte vor", stotterte Rodney und versenkte den letzten Schluck.
"Oh, er ist nicht in deinem Kopf, falls du dir da Sorgen drum machst." Sie deutete auf eine Art Freisprechanlage auf ihrem Tisch. Wegen der Schutzmaßnahmen im Parlamentsgebäude funktionierte sie nur noch die Hälfte der Zeit und faktisch auch nur bis in den nächsten Raum, aber für ihren Personenschutz durch ein Mitglied der Errata im nächsten Raum, war es gut genug.
"Hmm ..." Das war nur teilweise das Problem, dass er damit hatte. Er ging zum Tisch. In einer kleinen Glaskuppel saß ein daumengroßer, blauer Kristall, der zu vibrieren schien. Vor der Glaskuppel über den Boden des Geräts miteinander verbunden war ein kreisrunder Lautsprecher und Empfänger. Er drückte so lange auf dem Knopf neben dem Empfänger herum, bis er nicht mehr vibrierte.
Sie rückte näher an ihn heran und stieß ihm spielerisch mit dem Ellenbogen in die Rippen. "Sag mal ... Sag mal ...", flüsterte sie ihm ins Ohr. "Hattest du dir in die Hose gemacht?"
Mit panisch, weit geöffneten Augen schaute er an sich herab. Die Hose war trocken, wie sie auch nicht anders hätte sein können. Schließlich hatte er sie erst vor einer Viertelstunde gewechselt.
"Hahaha", lachte sie schallend los.
"Der Schreiberling - richtig? Der hat es dir verraten."
"Lass Ron da aus dem Spiel, Brüderchen. Er ist schließlich mein Bauer. Nicht deiner."
"Dir wär es in meinen Schuhen nicht groß anders ergangen", stellte er schnell klar.
Sie quittierte es kokett mit einem Schulterzucken.
"Dann amüsier' dich. Ich fahr’ nach Hause."